point of view

Zu dem abgebildeten Raumausschnitt auf einer Fotografie läßt sich nach den Regeln der Perspektive eine Sehpyramide konstruieren und bauen, die das Sehfeld des Fotos dreidimensional beschreibt. Die Spitze dieser Sehpyramide ist der Brennpunkt der Kamera. Ihre Maße, ihre besondere Form und Lage im Raum ergeben sich durch die Entfernung und Ausrichtung der Kamera zum Aufnahmegegenstand. Der pyramidale Körper tastet mit seiner äußeren Form die Architektur des Raumes ab und stellt einen "optischen Abdruck" des fotografierten Raumausschnittes dar. Der fotografische Abzug ist ein planer Durchschnitt durch diese Sehpyramide.



- Ich fotografiere, um den Raum zu verändern.
- Das Foto zeigt den Ausschnitt eines Raumes.
- Ich arbeite mit ausgewählten Fragmenten einer vorgestellten Totalansicht.
- Die Perspektive des Fotos dient als konstruktives Gerüst, um dem fotografischen Blick stoffliche Gestalt zu verleihen.
- Das immaterielle Sehen wird fixiert.
- Meine Sicht durch die Kamera wird Architektur.
- Die baulichen Eigenschaften eines Raumes sind der Anlass für die Konstruktion einer Arbeit.
- Ich suche den idealen Blickpunkt, um in die vorhandene Architektur nach bestimmten Vorstellungen einzugreifen.
- Die Entscheidung für eine bestimmte Perspektive ist die Entscheidung für eine bestimmte plastische Gestaltung.

Carsten Gliese 1994

Die Eigenen Vier Wände

 
Kunsthaus Essen, 1994
4 pyramidale Körper aus Rigips, weiß gestrichen
4 s/w Fotografien

Die Tür als offene Grenze ist beherrschendes Motiv dieser Arbeit. Mit vier sich kreuzenden Kameraeinstellungen wurden in den drei Ausstellungsräumen einander durchdringende Seh-
pyramiden installiert. In der Aufsicht beschreiben die Körper über die Türöffnungen in den Räumen einen verschobenen viereckigen Binnenraum. Dieser bleibt dem Betrachter unzugänglich; seinen Verlauf muß er mittels der Fotos rekonstruieren. Ihre Seitenwände verselbständigen sich zu einer architektonischen Umgestaltung der rechtwinkligen Raumordnung. Alle Aufnahmen wurden im vorderen Bereich, der Eingangshalle, gemacht. Sie repräsentieren eine "normale" Perspektive; angeschnittene Raumsegmente, Türleibungen und -angeln sind wiederkehrende Motive, die die Fotos zu einer Reihe verbinden.











































Blickfänger

Galerie Weber, Münster, 1993

Spanplatte auf einer Unterkonstruktion, weiß lackiert
8 s/w Fotografien, 4 x 12 cm


In der Galerie Weber verbinden zwei Türdurchbrüche drei unterschiedlich große Räume zu einem langgezogenen "Schlauch". In dem vorderen, größten Raum wurde von einem sehr niedrigen Standpunkt eine 8-teilige Panoramaaufnahme gemacht, bei der auch der hinterste Raum durch die Türöffnungen noch erfaßt wurde. Zu jeder Aufnahme dieses Rundblicks wurde eine entsprechende Sehpyramide in der Galerie installiert. Die Fotos schlossen die Körper auf ihren abgestumpften Spitzen ab und bildeten so einen Ring um den Augenpunkt, der die ideale Mitte des entstandenen Loches markierte. In diesem optischen Zentrum zeigten die Fotos die verdeckten Raumausschnitte und erklärten damit die Form der Konstruktion.
Die einander berührenden Pyramiden gestalteten mit ihren Oberflächen in diesem Raum einen Boden, der gleichmäßig gefächert von dem Fotoring aus zu den Wänden anstieg. Der durch die Türöffnungen eingeengte Blick beschnitt die Pyramide in den beiden anderen Räumen zu einem eher plastischen Gebilde. Sie lief quer durch den letzten Raum als ein nur noch schmaler Steg, der hoch an die Wand stieß und als Barriere den Raum teilte.
























Eröffnung